Gemüsesaft

„Bist du heute Abend noch für ein Experiment zu haben?“
Er gähnt. „Kommt drauf an, womit sich das Experiment befasst.“
„Guck es dir an.“ Ich gehe voraus in die Küche und stelle meine Trinkgläser und Tassen, gefüllt mit Gemüsesaft, auf die Insel. Skeptisch beäugt er sie. „Das sieht furchtbar grün aus.“
„Und grün steht dir furchtbar gut, mein Schatz. Du hast gesagt, dass du Gemüse nicht magst, weil es so knackt und kracht beim Kauen. Dieses Gemüse hier wird ganz sicher nicht knacken und krachen. Probierst du es?“
„Muss ich das alles austrinken?“
„Nein. Nur an jedem kosten.“ Er nimmt das erste Glas und riecht vorsichtig daran. „Und du weißt, was drin ist und das kommt später ins Essen?“
„Wenn es dir schmeckt.“ Er ist süß, wie er sich so ausführlich nach den Bedingungen erkundigt, misstrauisch, aber trotzdem mutig genug, sich auf mein Experiment einzulassen. „Ich will euch nur mal miteinander bekannt machen.“
„Hallo Gemüse, ich bin der Lorenz“, stellt er sich vor und nippt am dunkelgrünen Saft. „Hm.“ Er nimmt einen etwas größeren Schluck. „Geht so.“
Ich stelle das Glas beiseite, er nimmt das nächste. Mit Riechproben und Schlückchen arbeitet er sich durch die Versuchsreihe. Ich sortiere die Säfte nach „geht so“ und „igitt“, und füge schließlich die Kategorie „lecker“ hinzu. „Da staunst du, was?“, neckt er mich. „Dein Wikinger mag Gemüse!“
„In der Tat, ich staune. Wer hätte das gedacht! Willst du die Namen von deinen neuen Freunden wissen?“ Er nickt. „Spinat, Kohlrabi und Mais. Probier noch das orange.“
„Bestimmt ist es Möhre, oder?“
„Natürlich“, lache ich.
„Lecker.“
„Und das hier.“
„Ha, das kenn ich, das ist Tomate. Allerdings … hm, die schmeckt ja ziemlich langweilig. Ich dachte, die wäre … leckerer.“ Er gibt mir das Glas zurück und ich teste ebenfalls. „Was hast du an dieser aromatischen Biotomate auszusetzen?“
„Aromatisch?! Na ja, vielleicht nehmen die für Tomatensoße ne andere Sorte.“
„Ach das meinst du. Nein, da sind Geschmacksverstärker drin, je billiger die Soße, desto mehr.“
„Aha. Tomatensoße, die gar nicht nach Tomate schmeckt. Verrückt.“ Ich gebe ihm das nächste Glas. „Komische Farbe … aber lecker. Was ist das?“
„Rote und gelbe Paprika. Und hier, nimm das auch noch.“
„Ist das Gemüse? Es riecht ganz … fruchtig.“ Er trinkt den Saft in einem Zug. „Lecker.“
„Das ist rote Bete. Übrigens macht es rosa Pipi, erschrick morgen nicht.“ Er lacht, „wahrscheinlich tanze ich die halbe Nacht durchs Haus, weil ich ne Überdosis Vitamine intus habe. Aber wie lange hast du gebraucht, bis du die Sachen alle flüssig hattest? Oder kann man das kaufen?“
„Es gibt Gemüsesaft zu kaufen, aber der enthält mindestens noch Salz, wenn nicht eine Mischung aus verschiedenen Gemüsesorten. Ich wollte nur den Eigengeschmack haben, also habe ich sie durch meine Saftpresse gejagt.“
„Und was hast du mit den trockenen Resten gemacht?“
„Die meisten hatte ich heute in meinem Mittagessen. Wenn du Gemüse lieber trinkst als isst, mache ich dir in Zukunft Smoothies.“
„Aber das ist doch wahnsinnig viel Arbeit?“
„Überhaupt nicht. Bei Smoothies bleibt ja nicht mal ein trockener Rest übrig.“
„Dann mach mir in Zukunft bitte Smoothies.“
„Sehr gerne.“ Mein Wikinger will tatsächlich Gemüse verzehren! Wie schön!
„Was meinst du – machen Vitamine gute Laune? Vorhin auf dem Sofa wollte ich gar nichts mehr nach dem Scheißtag. Vielleicht sollte ich die grünen Vitamine morgens trinken.“
Er ist zum Küssen. „Wenn du möchtest, mache ich dir zu jeder Tages- und Nachtzeit Gemüsedrinks, so viele du willst.“
„Heute brauche ich keine mehr. Komm, wir gehen schlafen.“

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