Der Auftrag

An Ellis Büdchen trafen sich wie üblich die Langzeitarbeitslosen aus der Siedlung. Dort konnten sie rauchen und Kaffee oder ein Schnäps­chen (oder zwei) trinken, ohne dass sie dumm angemacht wurden. Sie kannten einander seit langem, und die alte Elli kannte sie alle seit noch viel längerer Zeit.

An diesem Morgen gesellte sich ein Mann mittleren Alters zu ihnen und bestellte einen Kaffee und ein belegtes Brötchen.
Der Mann sah fremd aus zwischen ihnen mit seinem gepflegten Bart, dem schicken Mantel und den sauber geputzten Lederschuhen, aber so fing ja jeder mal an. Zuerst war man zwar arbeitslos, achtete aber noch auf sein Äußeres. Wenn man erst immer mehr Absagen bekommen hatte, ließ das von selber nach; denn wofür sollte man täglich diesen Aufwand betreiben, wenn es doch zu nichts führte?
Irgendwann kamen sie ins Gespräch. Weil der Mann, der sich mit Peter Asmus vorstellte, interessiert nachfragte, erzählten sie von ihren gescheiterten Karrieren und was die Arbeitslosigkeit so mit sich brachte: psychische und gesundheitliche Probleme, sozialen Absturz, durch eine schmalere Haushaltskasse schlechtere Bildungschancen für die Kinder, und so weiter und so fort.
Als auch der letzte seine Geschichte erzählt hatte, nahm Herr Asmus sein Handy aus der Manteltasche, sagte „Entschuldigen Sie bitte“ und ging hinter das Büdchen.

Nach kurzer Zeit kam er wieder unter das Vordach und sagte zu ihnen: „Gehen Sie in die Edison-Straße vierzehn und melden sich bei dem Betriebsleiter, Herrn Hansen. Sagen Sie ihm, dass ich Sie geschickt habe.“
„Warum geschickt? Was soll das heißen, was haben Sie uns denn durch die Gegend zu schicken?“, fragten alle durcheinander.
Jetzt waren sie überzeugt, dass der Neue nicht ganz sauber war. Sie hatten von Anfang an ein komisches Gefühl gehabt, als der Typ so nachgefragt hatte. War der vielleicht ein Bulle? Warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe?
Der Mann reagierte nicht auf die Fragen und die teils verbitterten, teils wütenden Blicke und nahm, als sei nichts dabei, einen Schokoriegel von der Theke.

Schließlich machten sich die zehn Langzeitarbeitslosen aber auf den Weg. Mit ihnen konnte man es ja machen! Andererseits – was hatten sie schon zu verlieren? Die alte Elli und der Fremde hörten sie noch eine Weile wild diskutieren.
Unterwegs fingen sie fast an zu streiten, ob das ein Jobangebot gewesen sein könnte und welche Chancen sie wohl hätten. Die meisten rechneten sich nicht viel aus, weil sie schon viele Jahre keine Stelle mehr gehabt hatten. Auf dem Firmengelände informierte ein Schild darüber, dass Hilfsarbeiter eingestellt würden. Bei den Männern breitete sich Freude aus. Sie würden wirklich einen Job bekommen!

Am Eingang der Fabrik ging einem von ihnen auf, woher ihm die farbigen Leuchtreklamen mit dem Firmenlogo darauf und in Verbindung damit der Name des Mannes so bekannt vorgekommen war. Von den guten ‚Asmus-Werkzeugen’ hatte er schon oft in der Zeitung gelesen! Dieser Herr Asmus war also der Chef! Er sagte den anderen davon und regte an, sie sollten zurück gehen und sich bei Herrn Asmus bedanken, aber sie wollten erst den Job bekommen.
„Fakten schaffen“, sagten sie, „dann können wir hinterher immer noch Danke sagen.“
„Nein, ich gehe jetzt. Ich will mich zuerst bedanken.“
„Ja, mach das, aber wenn du morgen immer noch so arbeitslos bist wie heute, musst du nicht mehr zu uns kommen, wir haben dann ja keine Zeit mehr für dich“, lachten sie ihn aus.
Trotzdem kehrte der Mann um und rannte den ganzen Weg zurück. Er hatte Angst, dass Herrn Asmus der Gehorsam wichtiger sein könnte als sein kleiner Dank, aber er lief immer weiter.

Herr Asmus stand nach wie vor an dem Büdchen und unterhielt sich mit der alten Frau.
„Was machen Sie hier, ich hatte Sie doch zur Firma geschickt?“, fragte er den atemlosen Mann.
„Ja, das stimmt“, erwiderte der Mann schüchtern und hatte nun furchtbare Angst, seine Freunde könnten Recht behalten. „Aber als ich die Firmenschilder sah, hab ich auf einmal kapiert, wer Sie sind. Ich wollte Ihnen danken.“
„Aber Sie waren doch vorhin nicht allein, wo sind die anderen? Haben die nicht verstanden, wer ich bin?“

Jetzt wäre der Mann am liebsten tot gewesen. Er würde keinen Job bekommen und dazu alle Freunde verlieren, wenn die hörten, dass er sie verpfiffen hatte. Aber vor Herrn Asmus musste er einfach die Wahrheit sagen: „Doch, ich habe es ihnen erklärt, aber sie wollten sich erst bei Ihrem Herrn Hansen vorstellen. Das war ihnen wichtiger. Sie wollen dann danach zu Ihnen kommen.“
„Aha“, machte Herr Asmus.
„Hab ich einen Fehler gemacht?“, fragte der Mann und war den Tränen nahe, „wollten Sie testen, ob wir gehorsam sind und tun, was man uns sagt?“ Er musste tief Luft holen, bevor er weiter sprechen konnte: „Bin ich durchgefallen und kriege keinen Job bei Ihnen?“

Jetzt sah Herr Asmus ihn liebevoll an. „Nein. Sie haben es richtig gemacht. Gehen Sie nach Hause zu Ihrer Familie. Ihr Vertrauen zu mir, einem Unbekannten, hat Sie weiter gebracht. Morgen um acht sehen wir uns in meinem Büro. Dann werde ich Ihnen erst mal die ganze Firma zeigen und Sie Ihren neuen Arbeitskollegen vorstellen.“

Weil der Text im Jesus-Freaks-Magazin (Heft 1/2009) erschienen ist, braucht er natürlich auch einen Autortext. Rückwirkend kann ich sagen, dass viele Autortexte einen ebenso hohen Unterhaltungswert haben wie die Texte selbst.

Jorike Pelagina (32) liebt Schokopudding und will mal nach Estland reisen. Bis dahin tut es auch die südholländische Nordseeküste, wo sich prima entspannen lässt. Ansonsten träumt sie von einem Verlag, der ihre Geschichten veröffentlichen wird und natürlich von dem Prinz, von dessen Seite sie im Paradies genommen wurde.

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