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Vorwürfe zur Begrüßung

Beobachtung aus dem Film „In Wahrheit – Still ruht der See“ (3. Teil der Reihe) ab min 35:26

Die Tochter kommt das Treppenhaus rauf, putzt sich die Hände an den Hosenbeinen ab, hält inne, klingelt (zu kurz) und klingelt noch einmal länger.
Ihre Mutter öffnet, langer Blick, „Kommst du auch mal vorbei?“, dreht sich um und verschwindet in der Wohnung. Die Tochter betritt die Wohnung, als die Schritte schon nicht mehr zu hören sind und schließt sorgsam die Tür. Drinnen geht der Fernseher wieder an, eine Quizsendung.

Die Tochter betritt mit einem Lächeln das Wohnzimmer, die Mutter sitzt auf dem Sofa und schaut nicht zu ihr hin. Schreibzeug und allerhand Papierkram auf dem Tisch, Weinflasche, ein Glas, zwei Fernbedienungen. Die Mutter schreibt irgendwas, während der Sprecher im TV Spannung erzeugt. Ihre Tochter steht immer noch im Türrahmen.
Die Mutter stellt den Fernseher lautlos, nimmt die Brille ab, „Setz dich. Mischa hat schon erzählt, dass du in der Gegend bist. Der kümmert sich jedenfalls um mich, im Gegensatz zu meinen eigenen Kindern.“ Sie guckt aber die ganze Zeit nur zum TV-Gerät, setzt die Brille wieder auf.

Die Tochter bewegt sich verlegen, fragt „Wie gehts dir denn?“ und lächelt wieder.
Die Mutter guckt nicht hin, sagt: „Wie solls mir schon gehen? Ich bin eine einfache Frau, die immer nur Pech im Leben hatte.“ Nimmt erneut die Brille ab und schaut endlich die Tochter an. Die schaut zurück und wendet schließlich den Blick ab. Mutter: „Du bist alt geworden. Hast du einen Mann?“
Sie schüttelt den Kopf, „Nee.“
Mutter: „Wundert mich nicht, du warst schon immer kompliziert.“ und leert ihr Glas. „Wenn du schon mal da bist, können wir auch anstoßen auf unser Wiedersehen. Zwanzig Jahre. Gläser sind in der Küche, weißt ja, wo alles steht. Bei mir hat sich nichts verändert.“
Die Tochter nimmt die Hände aus den hinteren Taschen der Hose, sagt „Prima“ und geht in die Küche. Bis sie dort angekommen ist, wird der Fernseher wieder laut gestellt.

Die Tochter geht an den Küchenschrank, holt ein Glas raus, guckt sich schweigend um. Kommt mit dem Glas zurück, das Telefon tutet. Sie setzt sich in den Sessel an der vorderen Seite des Tisches, „Was machst du denn da?“ Die Mutter erklärt in einem Satz das Fernsehspiel und dass 5.000€ als Gewinn locken. „Kennst du das nicht?“
Tochter: „Nee.“ Sie hat eine melodische Stimme, die Mutter spricht wie farblos.
Die Tochter schenkt sich ihr Glas halbvoll, „Ich hab keinen Fernseher.“
Die Mutter wendet sich erstaunt zu ihr, „Was machst du denn dann den ganzen Tag?“
Tochter: „Arbeiten.“
Mutter: „Ach so. Bist jetzt was Besseres.“
Das Lächeln der Tochter verlischt, sie hat den Blick noch auf ihre Mutter gerichtet, schaut sie aber nicht mehr an. Die Mutter schaut wieder auf die Mattscheibe. Die Tochter guckt vor sich, stellt das Glas ab und verlässt wortlos die Wohnung. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, nimmt die Mutter das Glas und leert es in einem Zug.

Präzise Beschreibung ist unerlässlich um eine Szene mit Tiefenschärfe auszustatten. An Filmen lässt sich das Beobachten leichter üben, da man zurückspulen und sich eine Geste, Bewegung, Interaktion (etc.) noch einmal ansehen kann.