wir tun niemandem weh.

dieser Text ist bereits 2/2014 im JesusFreaksMagazin erschienen, das damals noch als „Der Kranke Bote“ firmierte und ich habe ihn unter meinem Pseudonym Jorike Pelagina veröffentlicht. Das nutze ich längst nicht mehr, aber die Gemeinsamkeit mit früheren Zeiten ist, dass das Magazin immer noch Texte von mir bekommt.
Beim Schmökern in Prosa von Rosa (namentlich dem Flickenteppich) fiel mir plötzlich auf, dass du diese Geschichte wahrscheinlich noch gar nicht kennst – zumindest habe ich sie in keinem der Vorgartenblogs gefunden.

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Was wir tun, ist illegal.
Die Gesetze und die Öffentlichkeit treiben uns in den Untergrund.
Wenn man uns erwischt, erwartet uns der Knast. Und Zwangsarbeit, Hass, Quälerei, weitere Verfolgung.
Und dabei lieben wir uns doch nur.
Schon als Teenager haben mich Mädchen nie interessiert.
Trotzdem habe ich versucht, mich anzupassen, meinen Eltern keine Schande zu machen. Mich zu bessern, wie man sagt. Aber wie soll ich mich bessern, wie soll ich ein anständiger Hetero werden, wenn mein Herz von ganz anderen Dingen redet?

Als wir uns trafen, war es, als kämen zwei Hälften eines Ganzen zusammen.
Endlich.
Auch wenn dadurch alles schwieriger geworden ist. Er hält nämlich nicht viel von Heimlichkeiten.
Er verwendet keine große Sorgfalt auf die Auswahl unserer Refugien. Refugium, das klingt nach mehr. Meist sind es schmutzige Nischen in leer stehenden Häusern.
Aber ich kann nicht von ihm lassen und er nicht von mir.
Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir erwischt werden.

Ich habe mich erkundigt, sage ich, wir könnten auswandern. In fast jedem Land würden wir Asyl kriegen.
Davon halte ich nichts, sagt er.
Willst du denn immer auf der Flucht vor unserem angeblichen Rechtsstaat sein?
Das ist mein Land, hier bleibe ich, sagt er, es ist meine Bestimmung. Und zündet sich eine Zigarette an.
Ich schmiege mich an seine Seite.
Er legt seinen muskulösen Arm um mich und setzt mich unter Strom.
Wenn jede intime Beziehung aus einem maskulinen und einem femininen Typ besteht, bin ich in unserem Fall das Mädchen. Ja, wäre ich nicht schwul, wäre ich ein super Frauentyp. Sensibel und so. Und er ist der Kerl bei uns. Seine Männlichkeit macht mich atemlos, jedes Mal, wenn ich ihn sehe.

Ein Summton erklingt. Er streckt die Hand nach seinem Smartphone aus und schaut auf das Display.
Seufzt.
Küsst mich.
Trinkt ein letztes Mal meinen Duft.
Steht auf, lässt mich seinen Zimmermannskörper in ganzer Pracht sehen. Und verbirgt ihn dann Stück für Stück unter der Kleidung.
Morgen Nacht im Park?, fragt er.
An unserem Platz, sage ich.
Er lächelt mich an, stiehlt mein Herz, ist schon im Dunkel der Bruchbude verschwunden.

Auf einer Kundgebung vor drei Jahren haben wir uns kennen gelernt.
Er ist ja nicht nur Zimmermann. Er ist auch das Idol einer ganzen (verbotenen) Bewegung. Öffentlich hat er sich zu seiner Leidenschaft bekannt, er kämpft für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Natürlich hat das Wort Brüderlichkeit bei ihm eine besondere Note.
Leider hat sein Kampf bisher nichts gebracht, außer dass wir noch mehr diskriminiert werden.
Wie soll es weiter gehen mit uns?
Etwa so wie jetzt? Ehrlich gesagt kann ich auf den dauernden Nervenkitzel verzichten.
Aber auf ihn verzichten würde heißen, mich selbst zu verleugnen.

Im Park ist es dunkel und still – kein Wunder, es ist bald Mitternacht. Selbst die ausdauerndsten Grillfreunde sind inzwischen nach Hause gegangen. Man sieht es!
Warum ist öffentliches Grillen erlaubt, wonach der Park aussieht wie eine Müllkippe, öffentliches Schwulsein aber nicht? Wir hinterlassen keinen Dreck, wir tun niemandem weh.
Und doch werden wir überall benachteiligt und ausgeschlossen.

Ich sehe ihn nicht, ich höre ihn nicht, und doch weiß ich, dass er schon auf mich wartet. Die Luft vibriert, wo er ist.
Als er mich in seine festen starken Arme schließt, bricht mir der Schweiß aus.
Er lacht leise. Kost mich. Küsst mich. Steckt seine Nase in meinen Nacken. Und ich meine Hände unter sein Shirt.
Brrr, macht er. Wie kannst du im Sommer so kalte Hände haben?
Kalte Hände, warmes Herz, zitiere ich meine Oma.
Kalte Hände, warmer Bruder, zieht er mich auf.
Auf einmal Stimmen, Suchscheinwerfer, die unsere weiche Dunkelheit zerhacken, Polizei! Hände hoch!
Scheiße!
Maschinenpistolen auf uns gerichtet.
Ich wusste, dass sie kommen würden, sagt er.
Warum haben wir uns dann hier getroffen?
Es muss so sein. Und hab keine Angst, sie wollen nichts von dir. Es geht ihnen nur um mich.
Schneller als ich drüber nachdenken kann, ziehe ich mein Messer aus der Tasche, es schnappt auf und verletzt den am nächsten stehenden Polizisten an der Kehle.
Schreiend hält er seinen Hals, Blut quillt hervor, zwei Polizisten werfen sich auf mich, Gesicht im Dreck, Stiefel auf meinem Kopf.
Wartet, sagt er sanft und bestimmt. Legt seine Hand auf die Wunde. Das Blut versiegt, die Haut ist wieder heil.
Lasst ihn gehen.
Ich kann aufstehen, starre ihn fassungslos an wie die meisten Polizisten auch und suche das Weite.

Jorike Pelagina (33) liebt gutes Kopfkino und versucht, die Person ICH ihrer Geschichten immer weiter vom realen ICH zu trennen, denn Bilokation ist zu schwierig.

Der Text ist ein mächtiger Stein des Anstoßes gewesen, wie es mir bei keiner anderen Bibeltextadaption gelungen ist. „Du kannst doch nicht sagen, dass Jesus schwul gewesen wäre?!!“
Aber heute noch mehr denn je passt die Adaption, nichts gibt die gesellschaftliche Bedrohungslage der frühen Christen besser wieder als Homosexualität, die in immer mehr Ländern weltweit unter (Todes-)Strafe gestellt wird – eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit. Sie tun niemandem weh, sie haben einfach das Pech, dass sie nicht wie der Hetero-Standardmensch ticken.

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weitere Bibeltextadaptionen in diesem Vorgarten findest du mit dem Stichwort Suchwort „Jorike Pelagina“.

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