Nanu, sind das Schneeflocken, die sich so dekorativ auf den Blättern der Clivia niedergelassen haben? Nein, sind sie nicht. Der Kunstschnee ist Styropor, und er liegt nicht nur auf den Blättern der Clivia, sondern auch auf denen der Spatiphyllum (die aufmerksame Leserin¹ weiß: die zwei Grünlinge sind Nachbarn im heimischen Wohnzimmer) …
¹= Männer sind wie immer mitgemeint


… und auf sowie unterm Schreibtisch, dem Teppich, am Eimer, in den ich die Reststücke versuche loszuwerden, haftet federleicht am Bildschirm, am Bücherregal, an mir, an allem, was ich zuletzt angefasst habe und weht als krümelige Schleppe hinter mir her, wenn ich zwischen den Räumen wechsle. Ich staubsauge nach jedem Sägeschnitt, sodass das Zeuch auch überall auf dem Staubersauger sitzt. Es ist großartig zu sehen, wie leicht man Elektrizität erzeugen kann! Kohleverstromung, pfff…
Es klingelt und schon stehen Miss Verständlich, der Statistikfreund und zwei Störche in den Kunstschneeverwehungen herum. Sie gucken zu (leider nur sehr kurz) und fangen dann an mich mit Fragen zu löchern:
„Was machst du da?“
„Warum sägst du im Wohnzimmer?“
„Sind das Grabsteinimitate?“
„Werden es weltmeererwärmungstaugliche Eisschollen?“
„Brauchen wir denn wieder welche für den Gartenteich?“
„Baust du ein Styropor-Jenga?“
„Wird das noch weiter zersägt oder ist es fertig?“
„Kann ich das Stück da haben?“
„Sach doch ma, was hast du damit vor?“

„Was macht ihr überhaupt hier?“, will ich auch mal was wissen. Es stellt sich raus, dass der SF um fehlende Unterlagen für seine Jahresabschlussstatistik bei den Mitgliedern des T.E.A.M.s war und sie dann festgestellt haben, dass sie mich lange nicht gesehen haben, und in Erwartung frischer Silvesterkracher sind sie nun hier, die beiden Weißstörche als Vertretung der ganzen Vogehelschar.
„Wenn ihr Böller haben wollt, geht und kauft euch welche.“
„Keine Böller, wir meinen deine legendären Silvesterkräcker!“, klappern sie.
„Ach so. Na, wenn ihr Bäckerkräcker wollt, geht und kauft Zutaten und backt euch welche. Da ist die Küche!“
Der SF stößt die Miss mit dem Ellbogen an und tuschelt lautstark: „Das sagt sie nur, damit sie hinterher als erstes probieren kommen kann!“
Sie kichert, „Immerhin sind es dann Kräcker aus ihrer Küche, da hat sie das Recht der ersten Nascht.“
„Hä? Welches Recht der ersten … ach so!“, fängt er an zu lachen und kriegt sich nicht mehr ein, „das Recht der ersten Nascht!“
Ich schiebe das Gegibbel und Gekicher aus dem Weg; die Störche sind schon weg. Zum Glück passt sich das letzte große Sägestück ausgesprochen schön in die verbliebene Lücke ein und ich kann den beiden zur Ernsthaftigkeit Zurückgekehrten präsentieren:

„Versteh ich nicht“, sagt Miss Verständlich [sit nomine digna!], „so kommt doch gar kein Licht mehr rein? Deine armen Pflanzen!“
„Stimmt. Deshalb ziehen sie um: Fittonia, Calathea und der Parthenocissus in die Küche, Tradescantia und Sansevieria ins Wohnzimmer. Wird eng, aber wird gehen.“
„Und, ähm, warum das Ganze?“
„Zum Klimaschutz. Die Glasbausteine machen im Sommer tolles Licht, aber im Winter halten sie keine Temperatur nirgends, ständig geht Wärme raus und Kälte rein und die Klappe schließt auch nicht dicht.“
„Aber du wohnst doch zur Miete², wieso bist du dann für Klimaschutz zuständig und sägst Styroporplatten in deinem Wohnzimmer?“
²= was die whg vom Vorgarten unterscheidet
„Weil ich nicht länger warten wollte. Jetzt ist Winter und ich hab den kalten Popo uffn Klo, jetzt nehm ich das Problem selbst in die Hand.“
„Selbst ist die Frau.“
„Genau.“
„Aber wenn du es so gründlich abgedichtet hast, geht ja vermutlich auch keine Luftfeuchtigkeit mehr raus. Und dann kannst du drinnen nach jedem Duschen ein paar mehr Seerosen züchten“, überlegt der SF, der sich öfters mal durch ebenso naturwissenschaftlich korrekte wie wenig lebenspraktische Denkansätze hervortut.
„Das ist Blödsinn“, erwidere ich, „denn genauso wie ich das Loch da verschließen kann, kann ich es ja auch öffnen. Und ich habe das Wellenbad nicht mit viel Mühe so schön renoviert, damit es nach kurzer Zeit Schimmelflecken kriegt.“
„Wobei Pilz im Bad ja auch hübsch aussehen kann“, spielt die Miss an.
„Das stimmt. Allerdings hab ich in meinem kleinen Bad keinen Platz für so große Pilze, übrigens auch keine grauweißen Pferde, falls jemandem jetzt die Idee kommt. Pfünpf Pflanzen pfinden Platz, hätte ich vorher nicht gedacht … allerdings ist es hilfreich, wenn die meisten in kleinen Töpfen stehen. Und auch wenn man sich jetzt aus klimatischen Gründen mehr Zeit lassen kann mit den Verrichtungen, passt kein Bücherregal für mehr Unterhaltung rein. Die kleine blaue Bibel wird das einzige Buch bleiben.“
Jesus (der ja auch hier wohnt) hat sich die ganze Zeit dezent im Hintergrunz gehalten, während die Chaostruppe mit Quasseln beschäftigt war, aber das findet er gut.
