Archiv der Kategorie: Prosa von Rosa

Traumhaft

Während ich in meinem Elternhause in meinem Bette liege und sich draußen in nächtlicher Stille Flocke auf Flocke stapelt, träumt es mich von einem alten englischen Adelssitz, ein graues Gemäuer aus dem Gestein, das man an der Küste, einen Tagesmarsch entfernt, zuhauf findet, und man kann sich das ehrwürdige Haus noch als umkämpfte Burg vorstellen, vorm Tore das lärmende und Unheil bringende Schlachtgetümmel und drinnen neben den Bewohnern und etlichen tapferen Recken die wenigen Pächter, die es rechtzeitig in den trutzigen Schutz der dicken Mauern geschafft haben, die nun Kleinkinder und blasse Habe einem Winkel überlassen und mit ihrer Nachkommen magerer Schar zu fremden Werken folgen müssen, der Verteidigung des Bollwerks gegen die grimmigen Angreifer – all dies passt nun kaum noch zu den gepflegten Gärten, zwischen geschwungenen Wegen gesetzten Blumenfeldern und aus Marmor gehauenen Brunnen und Figuren sowohl der römischen wie der griechischen Sagenwelt, ihr gleißend weißer Stein verhöhnt bei Sonnenschein die Wohngemäuer, schaut her, so leicht und hell kann Dauerhaftes sein – zur Sommerszeit gibt man hier gerne Gartenfeste und lädt in der blauen Abendstunde zur heiteren Suche im Labyrinthe aus Hecken und in verwunschenen Grotten plätscherndem Bache … im Traume sehe ich ihn vor mir, den jungen Ulanen, ein zähes Geschöpf, hoch aufgewachsen und rank wie eine im Herbst geschnittene Haselrute, der nach langem Ritt durch widrige Witterung – er hat eine edle Dame begleitet und ihren unkundigen Kutscher auf selbst nach dem langem Regen noch befahrbarer Straße hergeführt – nun darf er, obwohl nach wie vor in seiner über und über von Schmutz und schlammigem Gespritze besudelten Uniform und den kaum noch als solchen erkennbaren Stiefeln mit klingendem Sporn (er nutzt sie nie, die Pferde gehorchen ihm willig, sie kennen und lieben, wie seine grobe Hand den Zügel sanft zu führen vermag, aber die Stücke gehören zur Uniform, und so trägt er sie) seinen verdienten Lohn an der Tür zum Hinterhaus von der Herrin entgegen nehmen, es ist stets zum besonderen Anlass ein besonderes Mahl aus kreisrundem Feingebäck, das vielfach hintereinander geschichtet und mit gelbem Fruchtmus gefüllt – es ist wohl nicht nur Fruchtmus darin, so feurig, wie es wärmt – – „– schon wieder den Bus verpasst“, zerrt meiner Mutter atemlose Stimme mich rufend aus dem Traum – aus der Traum, ich erwache, und erwache doch in anderem Bette, nicht im elterlichen Hause, sondern meinem eigenen Staate, nicht Bus verpasst und Schulzeit – Gott sei Dank! – und nicht Mutters Ruf mit Schneegestöber, sondern Blatt an Blatt am Lindenbaume, und egal ist mir, ob in England jener Zeit Ulanen ritten um Damen zu begleiten, es war ein Traum – und der ist aus.

🌿​

In meinen Träumen bin ich wild und frei und führe selbst den Zügel der furiosen Fantasie, und losgelöst von Regeln und derlei Kultusminister-Kumpanei darf ich so lange Sätze machen wie ich will.
Von wegen, ich hieße nicht Theodor und schriebe nicht über das Fräulein Briest.